Zwölf Jahre mögen in der deutschen Geschichte ein kurzer Zeitraum sein, doch auch ein “Vogelschiss” kann zu einem Kurzschluss führen und dann einen Flächenbrand auslösen. Mehr als sechs Millionen Menschen wurden von den Nationalsozialisten im Namen aller Deutschen gedemütigt, gequält und schließlich ermordet. Das waren zum größten Teil Menschen, die mitten unter uns lebten, als Juden, Sinti, Behinderte, Homosexuelle, Zeugen Jehova oder politisch Andersdenkende. Mit den Stolpersteinen will der Kölner Künstler Gunter Demnig Opfern des NS-Staates wieder einen Namen geben und dort an sie erinnern, wo sie gewohnt haben, dort wo staatliche Ausgrenzung in aller Öffentlichkeit ihren Anfang nahm. Mittlerweile wurden von Gunter Demnig in ganz Europa rund 69.000 Stolpersteine verlegt, fast 1.000 davon in Stuttgart. In einer Zeit, wo Fake News die Welt beherrschen, erinnern Stolpersteine an reale Schicksale und mahnen gegen das Vergessen und das Verdrängen, vor allem aber gegen die Ausgrenzung von Menschen, nur weil sie etwa eine andere Religion haben.
Bei der Stolperstein-Verlegung am Mittwoch, 11. Juli 2018, wird Gunter Demnig in sieben Stuttgarter Stadtbezirken 12 weitere Stolpersteine verlegen. Die Verlegungsaktion beginnt um 9:00 Uhr in Vaihingen/Möhringen und führt über Rohracker und die Innenstadtbezirke Ost/Mitte/Nord nach Feuerbach und Weilimdorf, wo sie gegen 15:00 Uhr endet.
In Möhringen, Sigmaringer Straße 107, sollen drei Stolpersteine an sowjetische Kinder erinnern, die 1944/45 im Zwangsarbeiterlager der Hansa-Metallwerke gestorben sind, wo die Eltern unter unmenschlichen Bedingungen in Baracken untergebracht waren und Zünder für Handgranaten herstellen mussten. Kinder, die dort geboren wurden, waren für die Nationalsozialisten “unerwünscht” und wurden deshalb bewusst, bei Ernährung, Pflege und Medizin so schlecht versorgt, dass sie zu Tode kamen. Die drei Mädchen wurden so nur sieben, fünf und zwei Monate alt. Der Neffe von einem der Mädchen, von Nadja Jakimenko, wird aus der Ukraine zur Verlegung kommen.
In Rohracker wird mit einem Stolperstein an Karl Glemser erinnert werden, der Opfer der “Euthanasie”-Aktion des Naziregimes wurde.
In Stuttgart-Ost werden drei weitere Stolpersteine für Menschen verlegt, die wegen psychischer Veränderungen in Heime kamen und schließlich im Rahmen der “Euthanasie”-Aktion ermordet wurden: Notburga Angele, Jahrgang 1906, war Mutter von zwei Kindern. Sie wurde von der Heilanstalt Weissenau aus in den Tod nach Grafeneck transportiert. Reinhold Stempfle, Jahrgang 1935, lebte trotz seiner geistigen Behinderung bei den Eltern. Nachdem der Vater zum Kriegsdienst eingezogen worden war, setzten die Behörden die Mutter solange unter Druck, bis diese der Einweisung in die Heilanstalt Zwiefalten zustimmte, wo er dann plötzlich “verstarb”. Erich Blank, Jahrgang 1906, erkrankte während seines Jura-Studiums und wurde von der Heilanstalt Weissenau aus mit einem der “grauen Busse” zur Ermordung nach Grafeneck gebracht.
Die Verlegung des Steines für Selma Ruben, Charlottenplatz 5, erfolgt in Zusammenarbeit mit dem StadtPalais Wilhelm, dem neuen Stuttgarter Stadtmuseum, dessen stellvertretende Direktorin, Dr. Edith Neumann, bei der Verlegung das Wort ergreifen wird. Das Museum war im Rahmen der Überprüfung der Herkunft von Objekten, die in der NS-Zeit in die städtische Sammlung kamen, auf die Antiquitätenhandlung “Hezel und Ruben” gestoßen, deren Teilhaberin die Jüdin Selma Ruben war. Zwei Monate nach ihrer Deportation 1943 nach Theresienstadt fand sie dort den Tod.
In Stuttgart-Nord soll mit einem Stolperstein auf das Schicksal des Kaufmanns Siegfried Hess aufmerksam gemacht werden, der nach dem Tod der Mutter 1937 das elterliche Haus verkaufen und unter Zwang in vier Jahren dann fünfmal umziehen musste, derweil er unterbezahlt als “Maurer” zu arbeiten hatte, bis er 1942 nach Izbica in den Tod deportiert wurde.
Schließlich werden in Feuerbach für Klara Vetter und in Weilimdorf für Gustav Osswald zwei weitere Stolpersteine für Opfer der “Euthanasie”-Aktion nun an einen menschenwürdigen Umgang mit Menschen mahnen.
Weitere Informationen erhalten Sie bei den jeweiligen Stadtbezirks-Initiativen, die auch ehrenamtlich die Erforschung der Schicksale durchgeführt haben.
Im angefügten Verlegungsplan finden Sie die vorgesehenen Zeiten für die einzelnen Steinverlegung. Bitte denken Sie daran, dass sich diese auch nach vorne verschieben können.
Außerdem bitten wir um Beachtung für die Erinnerungswoche „Schlaf, Kindlein, schlaf…“ vom 29. Juni bis 7. Juli 2018 im Stadtmuseum Wilhelmspalais für die Kinder, die während der NS-Herrschaft in der Stuttgarter Kinderklinik wegen ihrer Behinderung ermordet wurden (Veranstalter: Initiative Stolperstein Stuttgart-Vaihingen, die AnStifter).
9:00 | Möhringen | Sigmaringer Str. 107 | 1 Kopfstein für die im Zwangsarbeiterlager der Hansa-Metallwerke AG von 1942-1945 internierten sowjetischen Familien |
10:00 | Rohracker | Sillenbucher Str. 5 | 1 Stein für KARL GLEMSER |
10:30 | S-Ost | Teckstr. 38 | 1 Stein für NOTBURGA ANGELE |
11:00 | S-Ost | Klingenstr. 37 | 1 Stein für REINHOLD STEMPFLE |
11:30 | S-Ost | Hackländerstr. 30 | 1 Stein für ERICH BLANK |
12:00 | S-Mitte | Charlottenplatz 5 | 1 Stein für SELMA RUBEN |
12:30 | S-Nord | Seestr. 59 | 1 Stein für SIEGFRIED HESS |
14:00 | Feuerbach | Oswald-Hesse-Str. 27 | 1 Stein für KLARA VETTER |
14:30 | Weilimdorf | Fehrbelliner Str. 57 | 1 Stein für GUSTAV OSSWALD |
Alle angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung darstellen, es empfiehlt sich daher, möglichst frühzeitig vor Ort zu sein. Außerdem wird um Verständnis gebeten, dass Gunter Demnig an den Rahmenveranstaltungen zu den einzelnen Verlegungen jeweils nur kurz teilnehmen kann. Mehr Infos über die einzelnen Stadtteilinitiativen und in der Tagespresse!
Die öffentlichen Stolperstein-Verlegungen werden von ausschließlich ehrenamtlich tätigen Stadtteilinitiativen organisiert, über die Sie auch Informationen zu den einzelnen Opferschicksalen sowie weitere Aktivitäten erhalten. Alle Stuttgarter Stolperstein-Initiativen freuen sich über Ihre Unterstützung, beispielsweise bei der Erforschung der Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus oder der Pflege bereits verlegter Stolpersteine.
Den aktuellen Plan für die Verlegung am 11. Juli 2018 gibt es hier zum Ausdrucken