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Paula und Hermann Mendle, Frühlingshalde 8

Leider steht es nicht mehr: das etwa 200 Jahre alte Haus in der Spitalstraße 17 in Göppingen wurde im Jahr 2018 abgerissen. Viele Jahre prägte der dortige, etwas angestaubt wirkende Friseursalon nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Erinnerungen vieler Göppinger. Im Leben von Paula Hirsch und ihrem späteren Ehemann Hermann Mendle spielt dieses Haus eine so wichtige Rolle, dass es nicht unerwähnt bleiben kann.

Es ist das Zuhause, in dem Paula Hirsch als eines von 9 Kindern ihre Kindheit verbringt. Ihr Vater ist der angesehene Viehhändler Max Hirsch. Auf den wenigen erhaltenen Fotos ahnt man den Stolz auf das Erreichte, vor allem aber spürt man seine Warmherzigkeit gegenüber der Familie.
Paula Hirsch kommt 1892 in diesem behüteten Elternhaus zur Welt. Der Vater ermöglicht allen drei Töchtern eine abgeschlossene Ausbildung, was für die damalige Zeit ungewöhnlich ist. Auch dürften die guten Geschäftsbeziehungen des Vaters zu ihrer Heirat am 2. Oktober 1914 mit dem 5 Jahre älteren Pferdehändler Moritz Fuchs geführt haben. Während der 1. Weltkrieg bereits in vollem Gange ist, zieht sie zu ihm nach Buttenwiesen bei Augsburg. Viel gemeinsame Zeit ist den beiden nicht beschieden, Moritz Fuchs wird einberufen. Die Geburt der Tochter Karolina am 7. Juli 1915 erfährt er aus der Feldpost, ob er jedoch sein Kind je kennenlernen durfte, ist unbekannt: er fällt am 1. November 1916 in Rumänien.

Paula kehrt mit der Tochter in ihr vertrautes Elternhaus nach Göppingen zurück, in dieser schweren Zeit bietet es den beiden Halt und Trost. Ein altes Foto zeigt das innige Verhältnis ihrer Mutter Ida zur Enkelin Karolina.
Am 5. Mai 1920 heiratet sie erneut, den aus Kriegshaber bei Augsburg stammenden Kaufmann Hermann Mendle. Er ist zum einen „1919 bis 1932 Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft in der Firma K. Ehrlich & Co. in Stuttgart Feuerbach“, zum anderen dort auch als Handelsvertreter von Brauereibedarfs-Artikeln angestellt. Das Glück der kleinen Familie wird durch die am 6. Januar 1921 geborene Tochter Irene perfekt.
Hermann Mendle ist Eigentümer, vielleicht auch Bauherr des neu errichteten Einfamilienhaus mit Blick auf den Pragfriedhof. Am 30. Mai 1921 wird es zum neuen Zuhause. Noch lautet die Adresse Mönchhaldenstraße 133, aber im Zuge der im Jahr 1922 neu angelegten Straße wird es zur Frühlingshalde 8. Fast 100 Jahre später wird seineEnkeltochter berichten, dass ihre Familie nie wieder so glücklich war wie in diesem Haus.
Doch bereits im Jahr 1933 wirft die neue Zeit ihre Schatten auf das Leben der Familie Mendle: das glückliche Zuhause muss verkauft werden. Auch wenn die großzügig geschnittene 4-Zimmer-Wohnung repräsentativ und mit maßgefertigten Möbeln aus Eiche und Mahagoni ausgestattet ist: man wohnt hier zur Miete. Das außergewöhnlicheJugendstilhaus Am Neckartor 20 (damals Cannstatter Straße) steht heute unter Denkmalschutz.
Der nächste schwere Schlag für den erfolgreichen Vertreter Hermann Mendle ist die Entziehung seiner Reisekonzession im Jahr 1937, er verliert viele Kunden. Seinem Arbeitgeber Karl Ehrlich gelingt die Flucht in die USA, in den Wiedergutmachungs-Akten im Staatsarchiv Ludwigsburg findet sich seine Eidesstattliche Versicherung: „Ich bestaetige hiermit, dass Herr Hermann Mendle waehrend der Jahre 1932-1938 fuer mich, Karl Ehrlich, Brauerei Bedarfs Artikel & Chemisch Technische Produkte, Stuttgart, als Vertreter tätig war und ein jaehrliches Einkommen von ungefaehr M 7500,— hatte.“ Da Karl Ehrlich „November 1938 bei der Juden Aktion von der Gestapo verhaftet wurde & innerhalb 4 Wochen ausgewandert“ ist, verliert Hermann Mendle seine Arbeit und so jegliche Einkünfte.
Auch das1939 verabschiedete Gesetz „über die Mietverhältnisse mit Juden“ trifft die Familie Mendle. Zwangsweise werden sie in die Kernerstraße 11 eingewiesen und bewohnen nur noch 2 Zimmer. Sowohl Küche als auch Bad werden mit den 5 weiteren Mietparteien geteilt. In diesen furchtbar beengten Verhältnissen finden die wertvollen Möbel keinen Platz mehr und werden weit unter Wert verkauft.

Am 01. Dezember 1941 werden Paula und Hermann Mendle nach Riga deportiert. Unvorstellbar, wie sie den eisig kalten Winter in Lettland überstanden haben. Paula Mendle wird am 26. März 1942 im Wald von Bikernieki erschossen, dem 59. Geburtstag ihres Mannes. Hermann Mendle stirbt im Lager Salaspils an Typhus. Sein Todesdatum wird auf den gleichen Tag festgelegt.

Dank ihres Weitblicks gelingt Paula und Hermann Mendle das Wunder, ihren beiden Töchtern die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Irene flieht 1939 nach England, Karolina 1940 in die USA. Beide Töchter überleben.