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Moses Oppenheimer, Griesinger Weg 9

Moses Oppenheimer wurde am 16. 1.1940 im KZ Buchenwald ermordet.

Er wurde am 22. März 1894 in Gemmingen geboren. Seine Eltern waren Juden. Oppenheimer war Viehhändler, dazu unterhielt er Ställe in Backnang. Vor seiner Verhaftung im Jahr 1935 wohnte er im Griesinger Weg 9 im Raitelsberg.

Moses Oppenheimer hat 1919 geheiratet. Die Ehe wurde 1929 geschieden. Die Ehefrau war Nichtjüdin. Aus der Ehe stammten drei Kinder, die von den Nazis somit als „Halbjuden“ eingestuft wurden: Die Töchter Änne und Margit sowie der Sohn Josef. Die Töchter sind nach Israel, der Sohn nach den USA ausgewandert.

Oppenheimer wurde angezeigt, nach seiner Ehescheidung mit seinen „arischen“ Hausgehilfinnen in der Zeit von 1931 bis 1934 Liebesverhältnisse gehabt zu haben. Das Blutschutzgesetz, das derartige Beziehungen unter Strafe stellte, trat aber erst 1935 in Kraft. Deshalb war eine Verurteilung nach § 177 StGB nur möglich, wenn Nötigung unter ernstlichem Widerstand der Partnerinnen festgestellt werden konnte. Dies bestritt Oppenheimer und wehrte sich mit einer Strafanzeige gegen die Denunziantin wegen Meineids – jedoch ohne Erfolg, denn ein Jude war vor einem deutschen Gericht von vornherein verloren! Auch aus anderen Strafverfahren gegen Juden wissen wir, dass sich Zeugen für entsprechende Falschaussagen bedenkenlos zur Verfügung stellten.

Moses Oppenheimer wurde durch Urteil der Großen Strafkammer V des Landgerichts Stuttgart vom 7. 5. 1935 zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren, zum Ehrverlust von fünf Jahren und zur Sterilisation verurteilt. Dass dieses Strafmaß bei Nötigung judenbedingt und völlig überzogen war, hat das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Wiederaufnahmeverfahren nach dem Krieg bestätigt. Selbst das damalige Urteil des Landgerichts Stuttgart aus 1935 machte daraus keinen Hehl:

„Dass der Angeklagte als Jude auch nach dem Umsturz in Deutschland noch sein schamloses und brutales Treiben gegenüber Mädchen, von denen keine seiner Rasse angehörte, fortgesetzt hat, rückt die Person des Angeklagten in das richtige Licht und muss in diesen Fällen der Jahre 1933 und 1934 zur Strafverschärfung wesentlich beitragen.“

Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer war der Landgerichtsdirektor Alfred Flaxland, geboren am 1.1.1875, wohnhaft in der Hasenbergstraße 54 in Stuttgart West. Er war Mitglied der NSDAP und der SA und nach verschiedenen Aussagen ein überzeugter Nazi. Er ist auch in anderen Strafverfahren als Scharfmacher aufgefallen. Flaxland ist noch während des Dritten Reiches am 6. Mai 1940 im Alter von 65 Jahren verstorben. Deshalb konnte gegen ihn ein Spruchkammerverfahren nicht durchgeführt werden.

Unter dieser Verurteilung litten auch die Kinder Oppenheimers. Beide Töchter, die bis 1935 das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart besuchten, mussten wegen der Verhaftung ihres Vaters die Schule verlassen. Das von beiden angestrebte Medizinstudium war damit aussichtslos.

Änne (geboren 1919) hat nach diesem Schulabgang ihre Auswanderung alsbald vorbereitet, arbeitete in einem Landgut in Flensburg und dann in Hamburg in einem Heim der jüdischen Auswanderungsbewegung. Im Dezember 1939 gelang die Ausreise nach Palestina, sie hat dort geheiratet, heißt dadurch Änne Berger, und hat zwei Töchter.

Die 1922 geborene Tochter Margit absolvierte nach ihrer zwangsweisen Schulentlassung eine Gärtnerlehre in einem jüdischen Betrieb in Ahlem (Hannover). Danach arbeitete sie in einer Gärtnerei in Stuttgart-Feuerbach und wurde am 2. April 1943 in den Transport von der Rampe in Stuttgart Nord nach Theresienstadt eingereiht. Dort hat sie ihren Bruder Josef Oppenheimer getroffen. Danach begann ihr Leidensweg, den sie in ihren Lebenserinnerungen durch einen Beitrag in dem von der Stadt Stuttgart herausgegebenen Gedenkbuch von Maria Zelzer beschrieb. Bei ihrem Einsatz in der Desinfektionsstelle des KZ erkrankte sie an Scharlach, dazu an Kopf- und Bauchtyphus. Nach überstandenen Krankheiten wurde sie als landwirtschaftliche Arbeitskraft eingesetzt. Danach folgte sie einem Freund bei einem Transport ins KZ Auschwitz und überlebte dort trotz vieler Krankheiten. Der Freund wurde ermordet. Nach der Befreiung wanderte Margit 1945/46 nach Palestina aus und heiratete dort; sie hieß dann Margit Bernstein. Sie verstarb in Israel 2005 an den Folgen der nie völlig auskurierten Krankheiten.

Der 1924 geborene Sohn Josef kam nach der Ehescheidung seiner Eltern in das jüdische Waisenhaus „Wilhelmsstift” in Esslingen, dann auf das jüdische Auswandererlehrgut Großbreesen bei Breslau, wo er den Beruf des Landwirts erlernte. Er wurde nach seiner Rückkehr nach Stuttgart am 2.4.1943 ins KZ Theresienstadt deportiert, nach der Befreiung am 20. Februar 1945 in Oranienburg verhaftet, nach Stuttgart entlassen und wegen Erkrankung an Tbc in ein bayrisches Lungensanatorium eingeliefert. Am 17. August 1949 ist er nach Florida (USA) ausgewandert.

Moses Oppenheimer hat die volle Zuchthausstrafe in Einzelhaft in der Landesstrafanstalt Ludwigsburg ab 13. 5.1935 abgesessen. Er war dort in der Schuhmacherei des Gefängnisses beschäftigt. Seine Kontaktadresse war insbesondere seine Schwester Klara Kaufmann in Gemmingen. Den Empfang eines von einer Frau Fuldauer vom 29. Dezember 1937 gesandten Sonderbriefs wurde ebenso wie ein beantragter Besuchstermin seiner Tochter Änne am 16. 4.1937 von der Gefängnisleitung abgelehnt, da er im Hinblick auf die Schwere seiner Straftat eine Vergünstigung nicht verdiene. Anlässlich seiner Haftentlassung am 8. 5.1938 hat der Gefängnisleiter Weissenrieder bestätigt, dass er sich ordentlich geführt habe. Er sei ein typischer Viehjude, politisch wenig interessiert und ungefährlich. Eine Schutzhaft werde nicht für notwendig gehalten.

Gleichwohl hat die Staatspolizei Stuttgart Schutzhaft mit der Begründung angeordnet, Oppenheimer sei ein arbeitsscheuer Jude, sein Verhalten sei asozial gewesen. Er wurde aufgrund einer allgemeinen „Vorbestraftenaktion gegen Juden“ aufgrund einer Verordnung der Reichsregierung vom 1. 6.1938 von der Kriminalpolizei Stuttgart am 23. 7.1938 an seinem neuen Wohnort Charlottenstraße 5 in Stuttgart festgenommen. Im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Kriege hat das Landgericht Stuttgart in einem Urteil vom 22.2.1960 bestätigt, dass Oppenheimer nicht als Verbrecher, sondern als Jude verhaftet worden sei.

Moses Oppenheimer wurde in das KZ Buchenwald deportiert und dort am 16. 1. 1940 ermordet.

Recherche & Text: Gerhard Hiller