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Gerda Wild, Reinhold-Brändle-Weg 8

Ermordet, weil sie eine Behinderung hatte
Wenn der Staat entscheidet, was lebenswert ist – Daß wir heute noch ein paar Informationen über das kurze Leben der Gerda Wild haben, ist den systematischen Recherchen der Stolperstein-Initiative Zuffenhausen zu verdanken. Durch Interviews im Stattteil konnten weitere Erinnerungen zusammengetragen werden:

Gerda Wild

Gerda Wild wurde am 21.5.1940 geboren. Ihr Vater war Bauarbeiter. Am 21.9.1943 wurde sie in die „Heilanstalt“ Eichberg eingewiesen und dort am 5.10. 1943 ermordet. Sie wurde nur 3 Jahre alt. Ihre ältere Schwester berichtete: “Gerda war ganz a liabs Mädle“. Sie konnte mit 3 Jahren noch nicht reden, sich aber durchaus verständlich machen, zum Beispiel, wenn sie Zucker an ihren „Schnulli“ haben wollte. Eines Tages sei eine Krankenschwester gekommen, die das Mädchen abgeholt habe. Als die ältere Schwester von der Schule kam, war Gerda nicht mehr da gewesen. Der Vater sagte später zur Mutter: „Hättsch se ihr net mitgäbbe“. Er ahnte also, dass die Einweisung nicht zu Gerdas Vorteil geschah, wie behauptet wurde. Die Ärztin Hedwig Eyrich, die die Einweisung veranlasst hatte, gab sich als kinderfreundlich aus und schrieb Kinderbücher. Gerda war ihr aber noch nicht einmal eine Fotokopie wert. Als eine Kopie von ihr gefordert wurde, verwies sie „aus Gründen der Papierersparnis „auf einen vergleichbaren Fall“.

Was geschah in den „Kinderfachabteilungen“?
„Unter dem Namen „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ wurde 1939 eine Organisation geschaffen, die geisteskranke und missgebildete Kinder, zunächst bis zum Alter von drei Jahren erfasste, später auch ältere…. Das alles sollte unter strengster Geheimhaltung geschehen.“ (Elisabeth Zöller, Anton oder die Zeit des unwerten Lebens, Fischer Taschenbuchverlag, 2012)
Hebammen und Ärzte wurden verpflichtet, Kinder mit Missbildungen und Behinderungen zu melden. Auf die Eltern wurde dann Druck ausgeübt, sie zur „Behandlung“ in „Kinderfachabteilungen“ zu geben, wo angeblich eine Therapie der Missbildung oder Behinderung möglich wäre.
Diese „Kinderfachabteilungen“ waren aber „getarnte Einrichtungen zur Tötung von missgebildeten Neugeborenen und behinderten älteren Kindern, das heißt von Kindern mit einem ‚schweren angeborenen Leiden‘. ‚Behandlung‘ bedeutete Tötung durch Verabreichung einer Überdosis von Tabletten oder Spritzen eines starken Schlafmittels, hauptsächlich des Medikamentes Luminal.“ (Karl-Horst Marquart: Stuttgarter NS-Täter, 2009, S.105.) Auf den Totenscheinen wurden die Todesursachen gefälscht und erlogene natürliche Todesursachen wie z.B. Lungenentzündung angegeben.

Der Stolperstein für Gerda Wild wurde am 15. April 2013 verlegt.
Die Inschrift lautet:

HIER WOHNTE GERDA WILD JG. 1940
EINGEWIESEN 21.9.1943
‚HEILANSTALT` EICHBERG
ERMORDET 5.10.1943 KINDER – AKTION

Text u. Recherche: Inge Möller und Elke Martin, Initiative Stolpersteine Zuffenhausen
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart
– Elisabeth Zöller: Anton oder die Zeit des unwerten Lebens. Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch-Verlag. 7. Auflage, 2012
– Karl-Horst Marquart in Hermann G. Abmayr (Hrsg.): Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer bis zum Massenmörder. Stuttgart. Schmetterling Verlag, 2009
– Anna-Theresa Bachmann: Aus Gründen der Papierersparnis, in Ulrich Bausch (Hrsg.): Alles Lüge. Zwölf wahre Reportagen über Lügen. Die Reportageschule, Projekt der VHS Reutlingen GmbH. Reutlingen 2019
– Video: Anne und Matthias von der Vring: Für Gerda Wild. Hier.
Bild: Klara Häffelin
Kontakt: Inge Möller