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Am 17. und 18. September 2012 wird mit weiteren Stolpersteinen an die Vernichtung von Juden, politisch Andersdenkenden und Behinderten im Nationalsozialismus erinnert

Am Montag, 17. September, und Dienstag, 18. September, wird der Künstler Gunter Demnig im Rahmen seines “Kunstprojekts für Europa” in acht Stuttgarter Stadtbezirken weitere 25 Stolpersteine verlegen. So sehr sich die Schicksale der Opfer von nationalsozialistischer Intoleranz ähneln, so verschieden sind ihre Lebensgeschichten und so verschieden sind auch die Verlegungen, deren Rahmen von den einzelnen Stolperstein-Initiativen individuell gestaltet wird. Nur eines ist bei allen Stolpersteinen gleich: Wer sich bückt, um die Texte von Stolpersteinen zu lesen, verbeugt sich dabei unwillkürlich vor den Opfern.

Ausführliche Informationen zu den Verlegungen und ihrem Ablauf erhalten Sie bei den einzelnen Stolperstein-Initiativen. Den Zeitplan sowie die Kontaktadressen der Initiativen finden Sie im Anhang.

Hier in aller Kürze einige beispielhafte Schicksale:

Helene Unger, Jahrgang 1893, war von Kindheit an auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Vom Bürgerhospital kam sie 1927 für 10 Jahre ins Christophsbad nach Göppingen. 1937 für kurze Zeit zurück im Bürgerhospital wurde sie schließlich nach Winnental verlegt. Helene Unger wird am 24. Juni 1940 mit einem der grauen Busse der gemeinnützigen Kranken-Transport GmbH nach Grafeneck gebracht und dort am gleichen Tag ermordet.

In der Degerloch wird ein Stolperstein für Reinhold Bürkle verlegt. Im Alter von 25 Jahren wurde er 1940 zu einer Beobachtungseinheit nach Ulm eingezogen, der er sich aus nicht bekannten Gründen im August 1941 entzieht. Kurz drauf wird er als Deserteur steckbrieflich gesucht. Am 18. Februar 1942 meldet die Genesenden-Batterie seiner Stammeinheit in Ulm „Todesurteil durch Erschießen vollstreckt.“

An Joseph und Bella Wochenmark werden Stolpersteine in der Olgastraße 75 erinnern. Der Vorleser, Vorsänger, Rabbiner und Religionslehrer unterrichtete lange Zeit am Uhland-Gymnasium in Tübingen. Zuletzt wohnt das Ehepaar in Stuttgart, wo Joseph Wochenmark bei der Israelischen Gemeinde und als Straßenfeger etwas Geld verdienen kann. Die Nachricht von der bevorstehenden Deportation bringt das Ehepaar an das Ende ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit: Am 8. März 1943 wählen sie den Freitod. Doch Bella Wochenmark überlebt. Sie wird 40 Tage später nach Theresienstadt deportiert und am 16. Oktober 1944 weiter in den Tod nach Auschwitz.

Gleich drei Stolpersteine werden in der Raitelsbergsiedlung verlegt. Lore Glaser (*1921) und Erich Kohnert (*1924) waren von Geburt an geistig behindert und kamen später zur Pflege in die Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall, von wo sie am 20. November 1940 im gleichen Transport in die Heilanstalt Weinsberg und mit den berüchtigten “Grauen Bussen” am 4. Dezember 1940 zur Ermordung nach Grafeneck verbracht wurden. Die Arbeiterin Agnes Klett (*1910) war wegen eines Nervenleidens seit April 1935 in der Heilanstalt Weissenau, wo sie am 24. Mai 1940 zur Ermordung in Grafeneck abgeholt wurde.

Weil das Unrecht nicht unberührt lässt, haben im Hallschlag und in der Neckarvorstadt Kirchengemeinderäte Patenschaften für die Stolpersteine von Otto Gabriel, Helene Duffner und Grete Hordan zu übernommen. Otto Gabriel war geistig behindert und wurde im Alter von sieben Jahren in Grafeneck ermordet. Die beiden erwachsenen Töchter überlegten ihre Mutter Helene Duffner (57 Jahre) von der Heilanstalt Weissenau nach Hause zu holen und selber zu pflegen. Doch dazu kam es nicht mehr, denn auch sie wurde im August 1940 nach Grafeneck verbracht und mit Kohlenmonoxid erstickt. Grete Hordan dagegen wurde als Jüdin erst entrechtet und dann am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert.

In der Neckarvorstadt wird auch für Isaak Kaufmann ein Stolperstein verlegt. Um der Verfolgung zu entgehen, war der 88-Jährige mit der Familie seines Sohnes nach Luxemburg ausgewandert, blieb dann aber zurück, als seine Angehörigen vor den einmarschierenden deutschen Truppen nach Frankreich flohen. Die Flucht von Sohn, Schwiegertochter und Enkelin endete in Auschwitz, woran bereits drei Stolpersteine in der Hallstraße 28-1 erinnern. Auch Isaak Kaufmann, dessen Schicksal jetzt geklärt wurde, bekommt nun einen Stolperstein. Für diese Stolpersteine fühlt sich die Kirchengemeinde St. Martin mitverantwortlich, da ihr Gemeindezentrum auf dem Grundstück steht, das vormals der Familie Kaufmann gehörte.

Alfred Broghammer (*1911) war Journalist und konnte sich nach 1933 wegen seiner politischen Einstellung kaum über Wasser halten. Schon vor 1933 hatte er Verbindung zum kommunistischen Jugendverband, zu Gruppen also, die auch nach 1933 resistent blieben gegenüber dem totalen Machtanspruch des Staates, Kontakte zur deutschen und jüdischen Emigration in Paris knüpften, über die Auswirkungen des Rassenwahns informierten sowie verfolgten und notleidenden Juden halfen. Im Zuge der Verhaftung einer Gruppe aus dem Rheinland wurde auch Alfred Broghammer verhaftet und ein halbes Jahr ins “Hotel Silber” gesperrt, bevor ihm in Berlin der Prozess vor dem Volksgerichtshof wegen “Vorbereitung zum Hochverrat” gemacht wurde. Das Urteil lautete 12 Jahre Zuchthaus. Im Frühjahr 1941 kam er nach Ludwigsburg ins Zuchthaus, wo er in einem “Zweigwerk” der Firma Bosch Anker für Lichtmaschinen wickeln musste. Bei der Arbeit im Keller erkrankte er an TBC und starb schließlich am 21. Juli 1943 auf dem Hohenasperg.

Siegfried Michelbacher (*1923) hatte einen jüdischen Vater, der 1944 starb, und eine christliche Mutter. Er selbst wurde als Mischling 1.Grades über Theresienstadt und Auschwitz nach Dachau deportiert, wo er am 8. Februar 1945 angeblich “verstorben” ist. Seine Mutter Emilie Michelbacher überlebte die Schrecken des NS-Regimes. Sie hatte in gefahrvoller Zeit die Thorarollen der zerstörten Stuttgarter Synagoge in einer kleinen Landgemeinde entdeckt und retten können. Bei der Einweihung der neuen Synagoge 1952 konnten diese dadurch feierlich in die Hospitalstraße zurückkehren.


Stolpersteine für Stuttgart am Montag, den 17. September 2012 (Uhrzeit~Steinverlegung):

10:30 Cannstatt Sparrhärmlingweg 73b – 1 Stein für Otto Gabriel

10:50 Cannstatt Koblenzer Str. 18 – 1 Stein für Helene Duffner

11:20 Cannstatt Auf der Altenburg 5 – 1 Stein für Grete Hordan

11:40 Cannstatt Aachener Str. 38 – 1 Stein für Eugen Scheucher

12:00 Cannstatt Hallstr. 28 – 1 Stein für Isaak Kaufmann

12:30 Cannstatt Duisburger Str. 46c – 1 Stein für Alfred Karl Mertz

MITTAGSPAUSE

14:00 S-Mitte Danneckerstr. 37 – 1 Stein für Wilhelmine Weinheim

14:20 S-Mitte Danneckerstr. 18 – 1 Stein für Helene Unger

14:50 S-Süd Hauptstätter Str. 86a – 2 Steine für Israel und Esther Pomeranz
Hauptstätter Str. 92 – 1 Stein für Siegfried Michelbacher
Hauptstätter Str. 96 – 1 Stein für Emilie Dora Bielefeld

15:15 S-Süd Möhringer Str. 71 – 1 Stein für Alfred Broghammer

15:45 Vaihingen Gartenstr. 48 – 1 Stein für Fritz Schäfer

16:30 Degerloch Reginenstr. 18 – 1 Stein für Reinhold Bürkle


Stolpersteine für Stuttgart am Dienstag, den 18. September 2012 (Uhrzeit~Steinverlegung):

8:00 S-Ost Wunderlichstr. 13 – 1 Stein für Lore Glaser
Wunderlichstr. 17 – 1 Stein für Erich Kohnert

8:20 S-Ost Röntgenstr. 2 – 1 Stein für Agnes Klett

8:50 S-Mitte Olgastr. 75 – 2 Steine für Josef und Bella Wochenmark

9:20 S-Nord Herdweg 37 – 1 Stein für Anna Schwabacher

9:40 S-Nord Seestr. 66 – 1 Stein für Erna Sussmann

10:30 Feuerbach Stuttgarter Str. 105 – 1 Stein für Else Bauer

11:00 Feuerbach Grazer Str. 8 – 1 Stein für Catharine Anshelm

11:30 Feuerbach Fahrionstr. 37 – 1 Stein für Theresia Esslinger


Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein – Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen – Änderungen sind möglich – Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig am Verlegungsort einfinden! Aufgrund des eng bemessenen Zeitplans kann Gunter Demnig an den vor Ort stattfindenden Rahmenveranstaltungen jeweils nur kurz teilnehmen! Weitere Infos über die Stadtteilinitiativen