Zum Gedenken an Dr. Robert Hirsch
Robert Hirsch wurde am 10. Juli 1857 als jüngster von 14 Söhnen des Ehepaares Leopold und Therese Hirsch geb. Wormser in Tübingen geboren. Familie Hirsch stammte aus Wankheim, die Familie der Mutter aus Aldingen bei Ludwigsburg. Sie waren die erste jüdische Familie, die 1852 das Bürgerrecht in einer württembergischen Stadtgemeinde durchsetzen konnte. In der Kronenstrasse 6 in Tübingen begründete Leopold Hirsch ein Herrenbekleidungsgeschäft, das bis 1938 in der Familie verblieb. Fritz Bauer, nach 1945 Generalstaatsanwalt in Frankfurt, war ein Großneffe von Robert Hirsch, ein Enkel seines Bruders *Gustav Hirsch, der das Geschäft von Vater Leopold nach dessen Tod übernommen hatte.
Seine Schul- und Studentenzeit in Tübingen schildert Robert Hirsch sehr anschaulich und detailliert in den ERINNERUNGEN, verfasst zwischen 1934 und 1935 in Stuttgart, wo er und seine Frau ab 1933 bei Tochter Minna und Schwiegersohn Theo Hirsch und Töchtern wohnten. Diese sehr lesenswerte Familien- und Lebensgeschichte hat inzwischen das Leo Baeck Institute in New York ins Netz gestellt.
Nach Beendigung seines Studiums, das Robert Hirsch mit der Promotion abschloss, durchlief er seinen Referendardienst bei verschiedenen Amtsgerichten in Württemberg und bemühte sich anschließend um eine feste Stelle als Richter im Staatsdienst. Innerhalb von zwei Jahren bewarb er sich um über 40 Stellen, aber trotz glänzender Zeugnisse und Empfehlungen blieben seine Gesuche erfolglos. Zuletzt sprach er sogar beim damaligen württembergischen Justizminister vor, der ihm unmissverständlich erklärte: „Nun, dann will ich Ihnen sagen, ich nehme Anstand an Ihrer Konfession. Wir haben nur drei Israeliten angestellt, was schon mehr ist, als dem Anteil der jüdischen Bevölkerung entspricht.“ (Zit.: M.Schmid, Tübinger Chronik vom 5.1.1985)
Dr. Robert Hirsch ließ sich daher in Ulm als Rechtsanwalt nieder, das er noch von seinem Referendariat her kannte und wo seine Brüder Julius und Rudolf die Firma „Gebrüder Hirsch“ (Grosswarengeschäft in Posamentier- und Seidenwaren) und die beiden anderen Brüder Moritz und Heinrich die Firma M. & H. Hirsch (Engroshandlung in Futterstoffen und Kurzwaren) betrieben. Am 24. Februar 1887 heiratete er Friederike Kiefe in Stuttgart. Im gleichen Jahr kam der Sohn Leopold, 1890 dann der Sohn Otto und 1892 die Tochter Minna zur Welt. (Zit.: Und erinnere Dich immer an mich. Gedenkbuch an die Ulmer Opfer des Holocaust, 2009)
Dr. Robert Hirsch engagierte sich neben seinem Anwaltsberuf nachhaltig in der Ulmer jüdischen Gemeinde. Am 1. Januar 1890 wurde er Mitglied und später deren stellvertretender Vorsitzender.
Alle drei Kinder wuchsen in Ulm auf. Beide Söhne zogen in den Ersten Weltkrieg. Als Kriegsfreiwilliger erhielt Otto die württembergische Militär-Verdienst-Medaille in Silber. Schon am 18.Juni 1915 fiel er in den Hochvogesen. Auch Leopold wurde mehrfach ausgezeichnet. Nach zweimaliger Verwundung konnte er, nachdem die Familie längere Zeit annehmen musste, er sei ebenfalls gefallen, aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurückkehren. Wie sein Vater schloss er das Studium der Rechte mit der Promotion ab und stieg in die erfolgreiche Rechtsanwaltskanzlei seines Vaters ein. Er heiratete 1925 Dora Elsas, Tochter von Louis Elsas aus Ludwigsburg. Das Paar bekam zwei Töchter.
Tochter Minna hatte im letzten Kriegsjahr den Stuttgarter Kaufmann Theodor C. Hirsch, ebenfalls Kriegsteilnehmer, geheiratet. Aufgrund einer Verwundung wurde er noch im Krieg in die Salamander Schuhwaren Herstellungs- und Betriebsgesellschaft berufen; 1933 war er dann Vorstandsmitglied der Salamander AG. Das Paar bekam drei Töchter. Theodor Hirsch und sein Bruder **Otto kauften 1927 einen Bauplatz am Killesberg. Im Jahr darauf zogen die Familien in das Doppelhaus Gähkopf 31 und 33 ein.
1933 gab Robert Hirsch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Ulm auf und zog mit seiner Frau zu Tochter Minna an den Gähkopf 31. Dort verfasste er seine Erinnerungen, denen er bis zu seiner goldenen Hochzeit 1937 weitere Kapitel der persönlichen Geschichte hinzufügte.
Nach der Pogromnacht am 9. November 1938 plante die Familie von Theodor und Minna Hirsch die Emigration nach Amerika. Ihre älteste Tochter Gertrud, die als 19jährige im Haushalt mit Eltern und Großeltern lebte, bevor sie und ihre Schwester noch vor Kriegsbeginn nach England entkamen, konnte noch im Mai 2016 in New York zu den Ereignissen um den Tod ihres Großvaters befragt werden - im Rahmen des Zeitzeugenprojekts Frage-Zeichen, das mit Unterstützung des Stuttgarter Gemeinderats vom Stadtjugendring und den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen durchgeführt wurde. Sie meinte, der Großvater wollte mit seinen 82 Jahren die Familie nicht zusätzlich belasten. Auch war er als deutscher Patriot tief verletzt durch die Stigmatisierung als Nicht Zugehöriger, dem ab 1936 sogar untersagt worden war, den Titel „Rechtsanwalt im Ruhestand“ zu führen.
So nahm sich Dr. Robert Hirsch am 14. Januar 1939 im Haus Gähkopf 31 das Leben.
Steine für Robert Hirsch sowie Otto und Martha Hirsch vor Gähkopf 31 und 33.
Foto: Gerhard Müller
Anmerkungen:
*Gustav Hirschs Sohn Arthur starb am 8. Dezember 1938 in Dachau; seine Tochter Paula wurde im März 1942 bei Riga ermordet.
** Dr. Otto Hirsch, 1941 in Mauthausen ermordet, s. wikipedia,
dort auch weitere Literaturangaben.
Quellen:
-Robert Hirsch, Erinnerungen, abrufbar bei Leo Baeck Institute N.Y. Maschinenschriftlicher Durchschlag.
-Auskunft der Enkelin Trudy Schwarz, jetzt Boston. S. auch DVD „Fragezeichen 3“, Filminterview mit Trudy Schwarz, Mai 2016, in dem der Großvater allerdings nicht erwähnt wird.
Zu beziehen beim Stadtjugendring Stuttgart.
-Zur Familie s. auch: Zerstörte Hoffnungen. Wege der Tübinger Juden. Hrsg. Geschichtswerkstatt Tübingen 1995.
Recherche und Text: Susanne Bouché
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Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
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im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
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Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
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Hermine Wertheimer
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