Cecilie Lewinsohn, Danneckerstr. 34
die „Stütze“ von „Tante Fanny“ Liebmann, Tübingen und der Buchhändler- und Verlegerfamilie Hess, Stuttgart
Caecilie Lewinsohn wird am 25.01.1880 in dem etwa tausend Einwohner zählenden Örtchen Murowana-Goslina (dt. Goslin) geboren, im Landkreis Obornik, Regierungsbezirk Posen. Goslin liegt etwa 22 Kilometer nördlich von Posen. Der ganze Landkreis Obornik zählt um 1890 48.000 Einwohner, davon sind 1776 jüdischen Glaubens.
Leider ist mir bisher nicht gelungen, herauszufinden, wo die unverheiratete Frau Lewinsohn den Großteil ihres Lebens verbracht hat.
Am 20. September 1937, selbst 57 Jahre alt, meldet sie sich im Einwohnermeldeamt Tübingen an als „Hausgehilfin“ für „Tony Liebmann“ in der Hechinger Straße 9. „Tony“ ist eigentlich die 89jährige „Fanny“ Liebmann, die Witwe des Tübinger Viehhändlers und Synagogenvorstehers Max Liebmann (1844-1910). Ihr geht Caecilie Lewinsohn bis zu Fannys Tod mit 91 Jahren am 26.11.1939 zur Hand. Wir wissen das indirekt aus dem Buch „Zerstörte Hoffnungen“[1] . Dort wird sie erwähnt, und zwar im Brief von Sophie 26.11.1939 im Alter von 91 Jahren verstorbenen Witwe, Löwenstein am 12. Juli 1939 auf S. 371: „Bei uns ist eine große Veränderung eingetreten. Tante Fanny und ihre Stütze“ ((die „Stütze“ ist Caecilie Lewinsohn!)) „wohnen jetzt auch bei uns unten und wir im mittleren und im vorderen Zimmer. Tante mangelt natürlich ihre schöne sechzig Jahre innegehabte Wohnung sehr, aber es war nichts zu machen. Lieb will sein Anwesen besser verwerten und hat Tantes Wohnung an Autovermietung Möcks Nachfolger vermietet“.
Sechs Tage, nachdem das Haus Hechinger Straße 9 auch offiziell im Grundbuch in den Besitz des Bäckermeisters Lieb übergeht, stirbt Tante Fanny mit 91 Jahren am 26.11.1939. Die nun überflüssig gewordene „Stütze“ Caecilie Lewinsohn meldet sich sechs Wochen später am 9.1.1940 ab nach Stuttgart, zuerst in die Militärstr. 49 (heute Breitscheidstrasse), dann wird sie „Haushälterin“ bei Emma und Isidor Hess in der Danneckerstraße 34.
Die ledigen Emma und Isidor Hess sind Cousin und Cousine und beide Nachfahren des bedeutenden Antiquars, religiösen Lehrers und Förderers württembergischer Interessen Isaak Hess aus Ellwangen (1789-1866).
Der Buchhändler Isidor Hess (1868-9.2.1942) ist Teilhaber der Fa. Hess & Co., Buchhandlung und Antiquariat, Eberhardstr. 10 und Mitinhaber des 1818 in Ellwangen gegründeten Verlags „Jacob Hess“ (seit 1905 in Stuttgart). Die neuen Arbeitgeber von Caecilie Lewinsohn werden gemeinsam mit Freunden und Verwandten (u.a. der Kunstmalerin Alice Haarburger) aus der Nachbarschaft in der Sandberger Str. 26 ein Haus kaufen und zuletzt dort „im vollkommen überbelegten Haus“ wohnen. Dort vor der Sandbergerstr. 26 wurde bereits für Emma Hess und Alice und Fanny Haarburger (beide urspünglich Danneckerstr. 36) jeweils ein Stolperstein verlegt. Isidor Hess stirbt 1942 in der Pflegeanstalt Heggbach bei Biberach.
Caecilie Lewinsohn war bis zuletzt in der Danneckerstr. 34 gemeldet und mußte sich Ende November 1941 auf dem Stuttgarter Killesberg melden. Sie wird am 1. Dezember 1941 wie so viele württembergische Juden in drei Tagen und Nächten im unbeheizten Zug nach Riga deportiert und sehr wahrscheinlich am 26. März 1942 im Bickernschen Hochwald bei Riga erschossen, gemeinsam mit 1600 Erwachsenen und 240 Kindern.
Caecilie Lewinsohn wurde 62 Jahre alt und hat die letzten fünf Jahre ihres Lebens damit zugebracht, alten Menschen eine „Stütze“ und Hilfe in deren Haushalt zu sein.
Quellen:
1 Geschichtswerkstatt Tübingen (Hrsg.), „Wege der Tübinger Juden", Stuttgart 1995
Staatsarchiv Ludwigsburg
Recherche & Text: Klaus Steinke
Spender/Paten des Kleindenkmals: Klaus Steinke, Gerhard Lentzen, Agathe Fuchs, alle Stuttgart
ZEITGENOSSE DEMNIG
Für die SWR-2-Reihe "Zeitgenossen" hat Andreas Langen mit Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine, gesprochen...
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STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
Künstler*innen bleiben gerade auch in diesen Zeiten präsent und begegnen einem konkreten Stuttgarter Stolperstein oder einem anderen Ort, der in Stuttgart an die Verfolgungen in der NS-Zeit erinnert
http://www.stolperkunst.de/stolperblick-stolperkunst-in-coronazeiten/
Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
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Warum Stolpersteine?
Für Hannelore Levi und ihre Eltern Berta und Ernst, letztere 1942 in Riga ermordet, wurden im Herbst 2017 Stolpersteine in Stuttgart verlegt. Pip McCosh (*1965, Neuseeland), Tochter von Hannelore Levi (*1928, Stuttgart, gest. 2012, Neuseeland) schrieb am 22. Januar 2018 eine e-mail, die anschaulich zeigt, dass Stolpersteine ihre Schleifen bis ins Hier und Jetzt ziehen...
Übersichtskarte der Stolpersteine
in der Reihe TÜBINGER JUDAISTISCHE STUDIEN erschienen:
Briefe zur JÜDISCHEN EHEVERMITTLUNG 1911-1921
Publikationen aus dem Stuttgarter Norden
Broschüre über „Else Kahn, geb. Jeselsohn. Nachgetragene Würde – nachgetragene Liebe. Eine Lebensgeschichte“
Broschüre „Der Killesberg unterm Hakenkreuz"
Der Stuttgarter "Judenladen": Ein fast vergessenes Stück Stuttgarter Stadtgeschichte
Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern
Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier
Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner
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Aus dem KZ Theresienstadt: "Was mich aufrecht erhielt, war die Post ..."
Postkarten aus Theresienstadt von Gertrud Nast-Kolb an ihre Tochter Ilse in Stuttgart (1944-1945)
heraus-gegeben von Margot Weiß
Verlegt
Krankenmorde 1940-41 am Beispiel der Region Stuttgart
heraugegeben von Elke Martin
Ernst Köhler
im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
weiter
Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
Max und Mathilde Henle
Letzter frei gewählter Wohnort:
Hohentwielstrasse 146 B, Stuttgart Süd
Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
die Tochter in Grafeneck ermordet, die Mutter in Theresienstadt weiter
Hermine Wertheimer
zwangsevakuiert, deportiert und enteignet weiter