Hannchen und Emil Nachmann, Betty und Josef Grünberg
Hannchen und Emil Nachmann
Eigentümerin des Hauses in der Albert-Schäffle-Straße 105 war die Jüdin Hannchen Nachmann, geborene Frießner, geboren am 8. 10. 1880 im Bamberg. Sie war Witwe des am 21. 1. 1941 verfolgungsbedingt verstorbenen Juden Emil Nachmann. Die begüterten Eheleute hatten das Grundstück am 15. 4. 1936 erworben. Die Witwe veräußerte es an den „mehrfachen Hoheitsträger“ Gau-Organisationsleiter Eugen Notter am 29. 5. 1941, die Auflassung kam am 26. Juni 1941 zustande. Notter hat auch die Einrichtung der Nachmann`schen Vierzimmer-Wohnung übernommen, die nach späterer Aussage des Nachmann-Erben „wertvoll“, nach jener Notters „sehr gut“ gewesen sein soll. Der Gesamtkaufpreis betrug 54.400 RM, den Einheitswert des Grundstücks hatte das Finanzamt mit 43.600 RM festgestellt.
Zum Abschluss des Kaufvertrags behauptete Eugen Notter, ein Druck auf die jüdische Eigentümerin Nachmann sei „in keiner Weise“ ausgeübt, der Kauf „im besten Einvernehmen“ durchgeführt, und der Kaufpreis von einer „amtlichen städtischen Kommission geschätzt“ worden. Im Ergebnis folgte dem die Zentral-Spruchkammer mit dem Spruch vom 15. März 1951 - J75/1641; die Transaktion sei zwar moralisch nicht völlig einwandfrei gewesen und müsse als anrüchig bezeichnet werden.
Wenn die Eigentümerin das Grundstück freiwillig und ohne Verkaufsdruck veräußert haben sollte, dann ergibt sich doch die Frage, warum alle Bewohner des Hauses im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Verkauf vom 29. Mai 1941 ihre Wohnungen zwangsweise verlassen mussten und dann in die Vernichtungslager deportiert und dort ermordet worden sind; diese furchtbaren Umstände hat die Spruchkammer nicht festgestellt.
Die Eigentümerin des Grundstücks, Frau Hannchen Nachmann, wurde noch im Jahr der Veräußerung 1941 aus der Wohnung zwangsweise in das Zwischenlager Buttenhausen umgesiedelt, von dort am 22. 8. 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und am 5. 4. 1944 ermordet.
Das Grundstück Albert-Schäffle-Straße 105 unterlag der gesetzlichen Restitution. Es wurde deshalb der staatlichen Vermögenskontrolle unter dem Aktenzeichen X G 1503 – 237 unterstellt. Rückerstattungsberechtigt war der Erbe Ernest Nachmann, geboren am 6. 9. 1908 in Fürth, Sohn der Frau Hannchen Nachmann aus ihrer ersten Ehe und Adoptivsohn ihres am 21. Januar 1940 verstorbenen zweiten Ehemannes Emil Nachmann. Der Erbe wanderte noch im März 1939 in die USA aus und wohnte in Pittsburgh, 5800 Beacon Street Square Hill. Ihm musste Notter das Grundstück am 22. November 1951 gegen den Kaufpreis-Ausgleich von 8.000 DM herausgeben. Ernest Nachmann veräußerte es am 9. 3. 1953 an Else Ehrle, geborene Glenk, Ehefrau des Otto Ehrle, Verkaufsleiter in Stuttgart.
Betty und Josef Grünberg
Die begüterte Jüdin Betty Grünberg, geborene Götz, war die Witwe des am 25. 1. 1941 verfolgungsbedingt verstorbenen Josef Grünberg. Betty Grünberg war Miteigentümerin des Geschäftshauses Marktplatz 16 in Stuttgart, das sich die Firma Breuninger angeeignet hatte (siehe das Buch „Stuttgarter NS-Täter S. 294).Sie wurde in der Albert-Schäffle-Straße 105 wie die anderen jüdischen Bewohner 1941 aus ihrer Wohnung nach Schloss Weißenstein zwangsumgesiedelt, von dort am 22. 8. 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 7. 9. 1942 ermordet. Die früheren Mitbewohnerinnen Nachmann und Grünberg dürften sich bei ihrer gemeinsamen Deportation wieder getroffen haben.
Vor dem Haus in der Albert-Schäffle-Straße 105 wurden auf dem öffentlichen Gehweg insgesamt neun Stolpersteine eingesetzt - jeweils zwei für die Ehepaare Nachmann, Grünberg und Berenz, und drei Stolpersteine für die Berenz-Kinder Abraham, Manasse und Bela.
Recherche & Text: Gerhard Hiller
STOLPERBLICK - StolperKunst in Corona-Zeiten
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Silke Arning auf SWR2 über das Los der Zwangsarbeiter im Lager auf der Schlotwiese
StolperKunst belebt Erinnerung
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im August 1940 in Grafeneck ermordet - weil er krank war
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Walter, Hanna, Sofie, Rose, Erich, Auguste, Albert und Werner Levi
die ganze Familie wurde von den Nazis auf erschreckend gründliche Weise vernichtet weiter
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Lydia Heilborn und ihre Tochter Gertrud
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Hermine Wertheimer
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