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Gertrun Schönberger, Ernst-Kachel-Str. 9

1940/41wurden über 10 600 behinderte Menschen in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb grausam ermordet. Diese Menschen fielen dem „Euthanasie“-Programm des nationalsozialistischen Staates, der so genannten „Aktion T4“, zum Opfer, weil sie als unnütz und lebensunwert galten. Sie wurden in den Heil- und Pflegeanstalten, in denen sie untergebracht waren, als Arbeitsunfähige ausgesondert, zur abgeschieden gelegenen Mordanstalt Grafeneck mit Bussen deportiert, dort in der Gaskammer ermordet und anschließend verbrannt. Gertrud Schönberger war eines dieser Opfer.

Gertrud Schönberger wurde am 30. April 1908 in Vaihingen auf den Fildern geboren. Ihre Eltern waren der Taglöhner und Fuhrmann Gottlieb Schönberger und seine Frau Karoline Friederike, geborene Schmolz. Die Familie – Gertrud war das zehnte Kind von insgesamt elf Kindern – wohnte in der Schulstraße 9 (heute Ernst-Kachel-Straße 9) in Vaihingen. In den Adressbüchern für Vaihingen a. F. von 1933 und 1938 ist eingetragen: „Schönberger, Gottlieb, Taglöhner bzw. Hilfsarbeiter, Schulstr. 9“.

Das Wohnhaus lag nicht direkt an der Schulstraße, sondern hinter dem damaligen Wohnhaus Nr. 7, d. h. seitlich versetzt hinter dem heutigen Gebäude des Kinderhauses „Bunte Welt“ der Evangelischen Kirchengemeinde, das heute die Hausnummer 9 trägt. In einem Lageplan aus dem Jahr 1907 sind folgende Gebäude an dieser Stelle an der Schulstraße eingezeichnet: vorn „Nr. 7, Wohnhaus, Mezger, Karl, alt Waldmeisters Sohn, Bauer“, dahinter „Nr. 9, Wohnhaus, Grieb, Gottlob und Schmolz, David“ und dahinter „Nr. 9a, Scheuer, Grieb und Schmolz“.

Der in dem Lageplan erwähnte zweite Hausbesitzer des damaligen Wohnhauses Nr. 9, Johann David Schmolz, wurde 1848 in Vaihingen geboren, war Pflästerermeister, heiratete mit 23 Jahren Wilhelmine Karoline Lauser und hatte 10 Kinder. Er war Gertrud Schönbergers Großvater mütterlicherseits.

Schon im Alter von sieben Jahren wurde Gertrud Schönberger am 1. Oktober 1915 in die Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal eingewiesen. Sie litt an epileptischen Anfällen. Die Heimaufnahme wurde durch die Ortsarmenbehörde, d. h. das Schultheißenamt in Vaihingen, veranlasst. In Stetten verbrachte Gertrud Schönberger 25 Jahre ihres 32 Jahre dauernden Lebens. Ihre Krankenakte ist im Bundesarchiv in Berlin in offenbar durch Wasser stark beschädigtem, manchmal kaum lesbaren Zustand erhalten. Darin ist folgender Eintrag des Anstaltsarztes vom 17. Oktober 1940 – 19 Tage vor ihrem gewaltsamen Tod – über sie zu finden: „Spricht, interessiert sich für alles. Reinlich, vergnügt, ansprechbar.“

Am 5. November 1940 wurde Gertrud Schönberger zusammen mit 66 weiteren Menschen in einem von drei grau gestrichenen Bussen mit undurchsichtigen Fensterscheiben von Stetten nach Grafeneck auf der Alb gebracht und am gleichen Tag in der Gaskammer ermordet. Als ihr offizielles Todesdatum ist der 17. November 1940 angegeben, dieses Datum stellt jedoch eine Fälschung dar, denn an diesem Tag ging kein Transport von Stetten nach Grafeneck. Das in Grafeneck eingerichtete Sonderstandesamt setzte, wie üblicherweise, bewusst ein falsches, späteres Todesdatum auf die Sterbeurkunde, um vorgetäuschtes Pflegegeld für die zusätzlichen Tage von dem Kostenträger einzuziehen und um die Tötung von 67 Menschen an einem Tag zu verschleiern.

Von Gertrud Schönberger gibt es ein Urnengrab auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld. Dort wurden in einem Sammelgrab die Ascheurnen von Stuttgarter „Euthanasie“-Opfern beigesetzt. In der Anstalt Stetten lebten am 1. September 1940 769 behinderte Menschen. In der späteren Diakonie Stetten wurde 1999 ein „Stein des Gedenkens“ aufgestellt, in den die Namen von 330 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern aus Stetten eingemeißelt sind, die in Grafeneck ermordet wurden. Am oberen Rand des Gedenksteines steht der Name „Gertrud Schönberger“.

Recherche & Text: Dr. Karl-Horst Marquart u. Elke Martin, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Vaihingen.

Quellen:
Auskunft der Diakonie Stetten.
Krankenakte im Bundesarchiv in Berlin.
Adressbücher für Vaihingen a. F. von 1933 und 1938 im Stadtarchiv Stuttgart.