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Cäsar Hirsch, Birkenwaldstr. 60

Dr. med. Cäsar Hirsch, geboren 1885 in Cannstatt, entstammte einer seit Jahrhunderten in Süddeutschland ansässigen schwäbisch-jüdischen Familie. Als einer der Klassenbesten absolvierte er das Gymnasium in Cannstatt und studierte dann an den Universitäten Tübingen, München, Berlin, Genf und Freiburg. Im 1. Weltkrieg meldete er sich freiwillig zur Versorgung von Verwundeten.
Seit den 20iger Jahren praktizierte er in Stuttgart und erwarb sich einen guten Ruf als hervorragender Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Mit wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Lokalanästhesie des Ohres und der oberen Luft- und Speisewege errang er auch internationales Ansehen. Dank seiner Sprachkenntnisse konnte er Vorträge im Ausland auf Italienisch, Englisch oder Französisch halten. Er verfasste über 120 Publikationen und ein Lehrbuch, das bald zu einem Standardwerk wurde.
1922 wurde er beratender HNO-Arzt am Katharinenhospital und  operierte dort auch. Daneben gründete er 1923 die HNO-Abteilung am Marienhospital, deren Chefarzt er wurde. Dr. Cäsar Hirsch war der Einzige in Stuttgart und Umgebung, der größere und schwierige HNO-Operationen durchführen konnte. “Hirsch war ein exzellenter Operateur und ein hervorragender Wissenschaftler”, bescheinigt ihm Dr. Leo Reich, der selbst 27 Jahre Chefarzt der HNO-Abteilung des Marienhospitals war.
Zu Wohlstand gekommen, erwarb er 1926 bei einer Zwangsversteigerung von der Girokasse die ansehnliche Villa in der Birkenwaldstr. 60. Deren Vorbesitzer, ein völlig überschuldeter und zudem mehrfach vorbestrafter Gastwirt, war ein strammer Nazi, anscheinend auch SS-Mitglied. Indem er Dr. Hirsch auf bösartige Weise beschuldigte, wollte er seinen Hinauswurf aus der Villa verhindern.
Nachdem er damit keinen Erfolg hatte, versuchte er jahrelang, Dr. Hirsch mit üblen Verleumdungen zu erpressen und sich an ihm zu rächen.
Als Cäsar Hirsch erfuhr, dass er auf einer schwarzen Liste der SA stünde, flüchtete  er mit seiner Frau und den 3 kleinen Kindern 1933 in die Schweiz. Dort erhielt er trotz seiner Fähigkeiten und wissenschaftlichen Kompetenz keine Arbeitsgenehmigung. Auch in  Italien und Frankreich konnte er nur untergeordnete Tätigkeiten ausüben, so dass die Familie davon nicht existieren konnte. Die Situation war so schlimm, dass das Ehepaar Hirsch sogar in Erwägung zog, das kleinste Kind zur Adoption zu geben. In Seattle, USA misslang der letzte Versuch, eine eigene Praxis aufzubauen. Als alle Mittel aufgebraucht waren, nahm sich Cäsar Hirsch 1940 in hoffnungsloser Lage mit 54 Jahren das Leben.
Dr. Leo Reich, der die Lebensspuren des Arztes in einer Biografie zusammengetragen hat, resümiert: “Hirsch ist früh aus Deutschland heraus gekommen und trotzdem untergegangen, weil die anderen Länder Juden nur bedingt halfen.

“Einen Teil seines Barvermögens hatte Hirsch noch über die Grenze schaffen können. Dies wurde der Gestapo zugetragen, ein solches Vorgehen fiel damit unter die >Reichsfluchtsteuer<.  Sein gesamtes Eigentum, sein Haus und seine Praxis wurden beschlagnahmt, seine wertvolle Fachbibliothek von der Gestapo verschenkt. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurden ihm außerdem sein Staatsexamen und sein Doktortitel von der Universität Freiburg aberkannt.”  Diesem Mann möchten wir mit einem Stolperstein ein Zeichen setzen und zum Ausdruck bringen, dass Stuttgart dem Arzt und die Medizin dem Wissenschaftler Dr. Cäsar Hirsch viel zu verdanken hat.

Recherche und Text: Josef Klegraf, Initiativkreis Stolpersteine Stuttgart-Nord, März 2008